Blog-Info:
Hier findet man jederzeit nachdenkende Texte aller Art und (m)eines einzigen
Copyrights, zwischen Kurzgeschichten, Artikeln, Glossen und Aphorismen
manchmal auch so etwas Lyrik und immer mit dem literarischen Anspruch
der Lesenswertigkeit. Das glauben Sie mir nicht? Schauen Sie doch selbst...

Katzenelson,
gez.: Vom Leben!
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Frieden kriegen


  Großmutter war tot. Die schweren Vorhänge ihres Schlafzimmers blieben zugezogen an diesem Tag, und auf Großmutters Nachttisch flackerte ein Talglicht neben dem aufgeschlagenen Katechismus.

  Bleich und klein lag sie da, wie eine Kinderleiche, niemand konnte ihr mehr helfen; kein Rotkäppchen, kein Jäger und auch kein David Copperfield-Kram.
  Niemand hatte ihr helfen können, als sie noch umherging oder an ihrem Tischchen saß und Schmerzen litt und sich Sorgen machte, wegen unserer Jungs beim Militär, wegen der Verrohung in der Welt und wegen ihrer Augen, die so viele Tränen vergießen mussten und nicht mehr recht wollten.

  Wie der Krieg denn damals gewesen sei, habe ich sie mal gefragt. Und sie hatte bloß genickt. »Der Krieg«, habe ich nachgehakt, »wie ist denn der so gewesen?« Und wieder war da nur ein Nicken; bescheiden zwar, aber ohne jegliches Zögern. Man musste es den Alten nachsehen, falls sie das Schweigen bevorzugten. Auch wenn es schwerfiel. Später bin ich dann nach Hause gegangen.

  Jetzt war Großmutters Gesicht ziemlich eingefallen, leere Wangen ohne Gebiss und wächsern die Haut; schauerlich, viel blasser als sonst, und es roch nach Eucalypstus Bonbons aus aller Münder.
  Auf der anderen Seite des Bettes lag ein Foto von Großvater; der war gestorben zu einer Zeit, von der ich nichts wusste. Mit Großmutter würde bald auch sein Bild verschwinden.

  »Ach, die Kriege«, hatte sie an anderer Stelle einmal gesagt, mit stupidem Blick nach vorn, »man hört nichts mehr von ihnen. Vielleicht sind die Kriege ja längst vorbei.«


  Die von der Stadt wollen jetzt abreißen kommen. Das wird bestimmt ziemlich staubig werden.


1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

wenn das meine oma liest, kriegt die bestimmt einen infarkt, glaube ich.