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Hier findet man jederzeit nachdenkende Texte aller Art und (m)eines einzigen
Copyrights, zwischen Kurzgeschichten, Artikeln, Glossen und Aphorismen
manchmal auch so etwas Lyrik und immer mit dem literarischen Anspruch
der Lesenswertigkeit. Das glauben Sie mir nicht? Schauen Sie doch selbst...

Katzenelson,
gez.: Vom Leben!
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Nachtschwärmer


  Eine Begebenheit

  Trotz Warnung vorm Tropensturm waren wir so spät noch die nächtlichen Stufen der Altstadt hinuntergelaufen, mein Mathematikprofessor und ich, und kamen endlich jenseits der gelben Laternen zum Strand, die Hafenmauern rückwärts liegen gelassen.

  Ich half dem alten Herrn aus seinen Sommerlatschen, und bald standen wir barfuß an der dunkelmütigen Wassernarbe, die sich genügsam vor uns dehnte und senkte. Keine Schaumkronen und keine angeschwemmten Leichen: Ein weißes Mondlicht jammerte verspiegelt über alles, wolkenlos, seltene Möwenschnäbel kreischten verloren, und aus unsichtbarer Ferne röhrte ein geiles Nebelhorn. Es roch nach Schellfisch und Schmieröl. Gut so.

  Das Bild war derart liebfertig vollkommen, dass es anhielt, in einen Ruhezustand der Ergriffenheit sich fallen zu lassen, meinem intellektuellen Stande und der belehrten Gesellschaft wegen nicht nur, gebar sich doch hier im Bild, wovon unsere romantischeren Schriften so altmeisterlich erzählten.
  Ich jedoch hatte ganz anderes im Sinn: Zu gerne hätte ich mit dem ehrenwerten Herrn Professor fabuliert und gefachsimpelt. Da er aber der höhere und ältere von uns beiden war, gebot es sich mir, das Schweigen auf keinen Fall zu wortbrechen.

  Doch das Warten ward mir schnell zu lang: Tausendundeine Fragen brannten zwischen meinen Ohren, die Neugierde auf diesen Mann war riesengroß. »Höher, schneller, weiter«, mein Lieber: Wann hatte man schon einmal einen Professor zum Nachtschwärmen? Eine wertvolle Gelegenheit ging sausen, während kühlende Brisen aus dem Irgendwo mit Wetterumschwung drohten. »Die letzte Welle!« betete ich innerlich und drängte, allenfalls die Zeit bis zur nächsten zu verkürzen.

  Mein Blick ging zum Horizont: Die Atmosphäre lud sich zusehends auf, wo obendrein ein flatterhafter Kormoran sich gegen die Richtung und das aufkommende Wetter warf. Und mein Professor stand regungslos stumm da. Er atmete auffällig schwer, wozu ich eher bei mir akutnötigen Anlass zu erkennen vermochte. Ging es denn nicht bald weiter? Dann, fast hätte ich es verpasst, ach hätte ich nur, erhob er seine gelehrte Stimme ins Sprechen: »Dieses Meer kann einen richtig klein machen.«
  »Damit kann es aber nicht rechnen«, raunte ich trotzig entgegen, mit einem Seitenhieb aus der Mathematik.

  Der alte Herr war gut beschwipst nach einem Dinerumtrunk bei Wasserpfeife, und ich dachte mir, er sähe diese kleine Vorlautigkeit nach. Immerhin waren wir weit und breit alleine. Da gab er die Richtung neu vor, mit einer Drehung gegen den Wind, und wir liefen eine Weile den Strand hoch. »Wissen Sie«, meldete er sich nach wenigen Schritten und wider den Wetterlärm, »als ich in Ihrem Alter war, wünschte ich mir, nie ein Moralist zu werden. Und heute erfülle ich mir diesen Wunsch, zu meiner eigenen Erhaltung. Bilden Sie sich also nichts darauf ein!«
  Ich blieb wortlos.
  »Und wenn die Ungeduld Sie einmal wieder plagt, junger Mann,« rief er gegen den auflebenden Monsun, »dann machen Sie sich gefälligst in die Hosen! Sie werden Kurzweil genug haben, auszuklamüsern, wie Sie da wieder rauskommen!«

  Den Rest gingen wir stumm aber stramm. In die Altstadt zurück, ins Quartier. Und jeder zu seiner Schlafstatt. Dort, eingebettet, versanken die Gedanken: Endzeit flog schließlich vorbei, wo abwartend Stille stand und Hoffnung, auf mildere Wiederherstellungsart.

  Am nächsten Tag, bei Licht, war er korrekt und freundlich wie immer. Aber da waren wir auch nicht alleine, und sein nüchternes Grinsen saß wieder intakt über der inneren Arroganz.

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